Das Werk

Carl Orff „Carmina Burana“
für Sopran, Tenor und Baritonsolo, Kleinen Chor, Männerchor,
Großen gemischten Chor, Kinderchor, 2 Klaviere, Pauken und Schlagwerk

Nach musikalischen Studien in München, darunter bei Heinrich Kaminski, verdiente sich der junge Orff seine ersten künstlerischen Lorbeeren als Theaterkapellmeister. Intensive Zuwendung zur Literatur (Brecht, Werfel) sowie Beschäftigung mit Liedern, Kantaten und Bühnenmusiken prägten die weitere kompositorische Entwicklung

Weltruhm erlangte der Meister allerdings erst durch seine „Carmina Burana“, die er im Untertitel mit „Cantiones profanae cantoribus et choris cantandae comitantibus instrumentis“ näher beschreibt. 
Wie kaum ein anderer Komponist distanzierte sich übrigens Carl Orff selbst von allem, was er bisher geschrieben und veröffentlicht hatte und teilte seinem Verleger nach der triumphalen Uraufführung überglücklich brieflich mit:
„Alles, was ich bisher komponiert und Sie leider gedruckt haben, können Sie einstampfen. Mit den ‚Carmina Burana? beginnen meine gesammelten Werke.“

Die Carmina Burana zählen zu den wertvollsten literarischen Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Die Handschrift, welche weit über 250 Stücke verschiedenster Länge und unterschiedlichsten Inhalts umfasst, wurde im Zuge der Säkularisierung der süddeutschen Klöster im Jahre 1803 in der oberbayerischen Abtei Benediktbeuern (unter dem Namen „Buron“ 739 bzw. „Bura Sancti Benedicti“ gegründet) aufgefunden.

Neben der Manessischen Handschrift (Codex Manesse) – mit den berühmten Bildern zahlreicher Minnesänger – bilden die Carmina Burana, die wohl im Auftrag eines geistlichen Mäzens angelegt worden waren, eine der bedeutendsten deutschen Liederhandschriften und dürften wahrscheinlich in der Mitte des 13. Jahrhunderts entweder am Hof des Bischofs von Seckau (Steiermark) oder im südlichen Bayern bzw. in Tirol (Südtirol ?) entstanden sein.
Bisher konnten erst 46 Melodien – die in linienlosen Neumen notiert sind – (durch Vergleiche mit zahlreichen anderen, parallel überlieferten Liederhandschriften, wo die Melodien in Quadratnotation aufgezeichnet waren) in mühevoller Arbeit rekonstruiert werden.

Minnesänger, Spielleute und Vaganten , eine andere Gruppe von fahrenden Sängern, die sich sozial von den Spielleuten scharf abgrenzte, haben wohl die meisten Lieder der Sammlung verbreitet und populär gemacht. Die Vaganten (lat. vagari = umherschweifen) – häufig „ewige“ Studenten, oft auch heruntergekommene Kleriker – ragen durch ihre „Halbbildung" aus der breiten Masse heraus (die weder lesen noch schreiben konnte) und schlagen daraus Kapital. Ihre meist anonymen Dichtungen sind in lateinischer oder in einer deutschlateinischen Mischsprache abgefasst; Liebe und Umtrunk bilden die Hauptthemen.

Die originalen Carmina Burana umfassen Gedichte (und Lieder) sehr verschiedenen Inhalts und Charakters, die in vier Hauptgruppen gegliedert sind:
1. moralischsatirische Lieder (Klagen über den Lauf der Welt, den Verfall der Sitten),
2. Frühlings und Liebeslieder,
3. Trink und Spiellieder („Vagantenlieder"),
4. geistliche Lieder und Schauspiele, darunter ein Weihnachts und ein Osterspiel.


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Eine moderne Neubelebung
dieser mittelalterlichen Lyrik gelang Carl Orff, der 1935/36 auf einige ausgewählte Texte die szenische Kantate Carmina Burana für Soli, Chor und Orchester komponierte, die ihn international berühmt gemacht hat.
Carl Orff wählte aus dem umfangreichen Codex eine Reihe von besonders ansprechenden Versen in mittellateinischer, mittelhochdeutscher und provençalischer Sprache, ordnete die Texte in die drei großen Gruppen „Primo Vere“, „In Taberna“ und „Cour d'Amours“ ein und umrahmte sie mit einer Anrufung der Glücksgöttin „Fortuna Imperatrix Mundi“.

Der Komponist gestaltete sein Werk als „Szenisches Oratorium“ (Szenische Kantate), das auch konzertant aufgeführt werden kann. Neben der für Soli, mehrere Chöre und Orchester, zwei Klaviere, Celesta und ungewöhnlich reichhaltiges Schlagwerk konzipierten „großen“ Fassung, gibt es auch eine authentische „kleine Fassung“ für zwei Klaviere und Schlagzeuger.

Obwohl er bei der Komposition nur in marginalstem Ausmaß auf Originalmelodien zurückgreifen konnte, verstand es Orff mit außergewöhnlichem Einfühlungsvermögen, die Melodik dem Geist des Mittelalters adäquat zu gestalten. Durch die Kunst, musikalische, sprachliche und tänzerische Mittel auf die elementare Grundform zu reduzieren, fand Orff zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die der Tradition des antiken Theaters wesensverwandt und dennoch der Gegenwart verpflichtet sind.

Ein typisches Beispiel für die Übernahme von Ausschnitten aus dem Original ist das Lied „Chramer, gip die varwe mir“, das haupsächlich in einfachster fünftöniger Pendelmelodik sehr einfühlsam die mittelalterliche Melodieführung nachempfindet.

Orffs Stil wird besonders geprägt von der vitalen Urkraft der Rhythmik und von seinem Streben nach magischen Klangwirkungen, während die Harmonik – nur scheinbar primitiv – auf die Techniken zu Beginn unseres Jahrtausends zurückweist (Ostinato, Bordun, Organum, Parallelführung von Quinten und Oktaven etc.). Daneben sorgen die affektgeladene Deklamation und die flächige Statik für wirkungsvolle Kontraste.

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Orff und Ideologie
Wiewohl die Carmina manchen heute als „zu deutsch“ und als Ausdruck der damaligen Ideologie erscheinen mögen, so muss diese Ansicht nachdrücklich als falsch korrigiert werden. In Wahrheit hatte Orff nämlich beträchtliche Schwierigkeiten mit den NaziBonzen in der Reichsmusikkammer. Schließlich entstammte die Textvorlage einem Kloster (wenngleich in oft haarsträubendem „Küchenlatein“!), überdies kommt inhaltlich doch kräftige Kritik an allen „Obrigkeiten“ zum Ausdruck und außerdem galt die „barbarischmodernistische“ Musik (in der sich noch dazu deutliche Anlehnungen an den von den Nazis verpönten Jazz fanden) als „undeutsch“ und daher abzulehnen.

Dennoch wurde die Uraufführung der Carmina im Jahre 1937 in Frankfurt am Main zum größten Erfolg auf einer deutschen Bühne seit dem Rosenkavalier von Richard Strauss, zum Sieg der vitalen Kräfte der Melodik, Rhythmik und Harmonik über eine Tendenz der zunehmenden Komplizierung der Neuen Musik unseres Jahrhunderts.

Wenn Orff im Untertitel der Carmina die Bezeichnung „Cantiones profanae cantoribus et choris cantandae comitantibus instrumentis atque imaginibus magicis“ festlegt, dann beschwört er zugleich den Begriff des Magischen und Ekstatischen, der innerhalb des Orff’schen Gesamtkunstwerks den Menschen bis in sein Innerstes zu berühren vermag.

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Die kompositorische Form der Carmina Burana

In einem grossflächigen Einleitungschor [ O Fortuna] wird über wuchtigen Ostinati die launenhafte Schicksalsgöttin Fortuna besungen. Durch seine Wiederholung am Schluss schafft dieser Chor einen Rahmen für logisch aufeinanderfolgende Situationen. In einem weiterer Chor
[ Fortune plango vulnera] meldet sich ein Opfer der unberechenbaren Göttin zu Wort.
Der Gesamtanlage entsprechend, gibt es keine das gesamte Stück hindurch agierende Figuren, sondern Prototypen, wie den Abenteurer, die Mädchen und ihre Gesellen, die Spieler oder auch das Liebespaar.

Texte

1. Fortuna imperatrix mundi

O Fortuna, velut luna statu variabilis,
semper crescis aut decrescis; vita detestabilis nunc obdurat et tunc curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem.Sors immanis et inanis, rota tu volubilis, status malus, vana salus semper dissolubilis,
obumbrata et velata michi quoque niteris; nunc per ludum dorsum nudum fero tui sceleris.Sors salutis et virtutis michi nunc contraria, est affectus et defectus semper in angaria. Hac in hora sine mora corde pulsum tangite;
quod per sortem sternit fortem, mecum omnes plangite!

Fortuna, Herrscherin der Welt
O Fortuna, du bist veränderlich wie der Mond,ständig nimmst du zu oder ab; das unbeständige Leben misshandelt oder verwöhnt spielerisch ständig den wachen Sinn, zerschmelzt Armut und Macht wie Eis.
Ungeheures und inhaltsloses Schicksal, du bist wie ein rollendes Rad; als schlimmes Schicksal und eitles Glück bist du immer vergänglich; als Schatten und verschleiert richtest du dich gegen mich auf; durch das Spiel deiner Bosheit habe ich nun einen nackten Rücken. Das Los des Wohlergehens und der Tugend sind jetzt gegen mich, Wunsch und Entbehrung sind immer in Bedrängnis.Darum schlagt in dieser Stunde ohne zu zögern in die Saiten; dass (Fortuna) den Starken wahllos niederstreckt, das beklagt alle mit mir!

2. Fortune plango vulnera

stillantibus ocellis, quod sua michi munera subtrahit rebellis.
Verum est, quod legitur, fronte capillata, sed plerumque sequitur Occasio calvata.

In Fortune solio sederam elatus,
prosperitatis vario flore coronatus;
quicquid enim florui felix et beatus,
nunc a summo corrui gloria privatus.
Fortune rota volvitur:
descendo minoratus; alter in altum tollitur;
nimis exaltatus rex sedet in vertice - 
caveat ruinam!
nam sub axe legimus
Hecubam reginam.

Die Wunden, die Fortuna mir zugefügt hat, beklage ich mit Tränen in den Augen, weil sie mir ihre Gaben frech vorenthält. Wahr ist, was geschrieben steht: die günstige Gelegenheit hat vorne eine Locke, aber meistens hinten eine Glatze.

Auf dem Thron der Fortuna saß ich erhoben, bekränzt mit der bunten Blume des Erfolges.

Aber so glücklich und gesegnet, wie ich blühte, so bin ich jetzt vom Thron gestürzt und der Herrlichkeit beraubt.

Durch Fortuna wird das Rad gedreht:

Ich falle herunter, bin unten; ein anderer wird erhoben; zu hoch erhoben sitzt der König auf dem Rad – er hüte sich vor dem Fall!

denn unterm Rade liegt die Königin Hekube, wie man liest.

3. Primo vere / Im Frühling

Veris leta facies mundo propinatur,
hiemalis acies victa iam fugatur,
in vestitu vario Phebus principatur,
nemorum dulcisono que cantu celebratur.

Flore fusus gremio Phebus novo more risum dat, hac vario iam stipate flore Zephyrus nectareo.spirans in odore. Certatim pro bravio 
curramus in amore.

Cytharizat cantico dulcis Philomena,
flore rident vario prata iam serena,
salit cetus avium silve per amena,
chorus promit virginum iam gaudia millena.

Das fröhliche Gesicht des Frühlings wird der Welt gezeigt, die winterliche Strenge flieht schon besiegt. In buntem Kleid tritt Phoebus seine Herrschaft an, im lieblichen Gesang der Wälder wird er gefeiert.

In Floras Schoße ausgestreckt lacht Phoebus nun aufs Neue. Umringt von diesem vielfältigen Blühen atmet Zephyr den Duft des Nektars. Wir wollen um den Preis der Liebe wetteifern.

Die süße Philomena singt, in Blütenpracht lachen nun die Wiesen heiter, Vogelscharen ziehen durch den lieblichen Wald und der Chor der Jungfrauen bringt jetzt tausendfache Freude.

4. 

Omnia sol temperat purus et subtilis,
nova mundo reserat facies Aprilis,

ad Amorem properat animus herilis
et iocundis imperat deus puerilis.

Rerum tanta novitas in solemni vere
et veris auctoritas iubet nos gaudere;

vias prebet solitas, et in tuo vere
fides est et probitas tuum retinere.

Ama me fideliter, fidem meam nota
de corde totaliter et ex mente tota.

Sum presentialiter absens in remota.
Quisquis amat taliter, volvitur in rota.

Alles erwärmt die reine und zarte Sonne, das Angesicht des April zeigt der Welt Neues. Die männliche Brust eilt zu Amor und über das Lustvolle herrscht der knabenhafte Gott.

Eine solche vollständige Erneuerung im festlichen Frühling und seine Macht gebietet uns Freude. Er weist bekannte Wege, und auch in deinem Frühling ist Vertrauen und Rechtschaffenheit, um dich zu bewahren.

Liebe mich treu! Erkenne meine Treue, die aus ganzem Herzen und Verstand kommt. Im Augenblick bin ich in der Ferne. Wer so liebt, wird im Rad gedreht.

5. 

Ecce gratum et optatum ver reducit gaudia, purpuratum floret pratum, sol serenat omnia. Iam iam cedant tristia! Estas redit, nunc recedit hyemis sevitia.

Iam liquescit et decrescit grando, nix et cetera, bruma fugit, et iam sugit Ver estatis ubera. Illi mens est misera, qui nec vivit, nec lascivit sub estatis dextera.

Gloriantur et letantur in melle dulcedinis qui conantur ut utantur premio Cupidinis; simus jussu Cypridis gloriantes et letantes pares esse Paridis.

Sieh, der lang ersehnte Frühling ist mit Freude zurückgekehrt. Purpurrot blüht die Wiese, die Sonne macht alles heiter. Jetzt weiche die Traurigkeit. Der Sommer kommt wieder, und die winterliche Strenge zieht sich jetzt zurück.

Schon schmilzt und schwindet Hagel, Schnee und das Übrige; der Winter flieht, jetzt saugt der Frühling an den Brüsten des Sommers. Der ist armselig, der nicht lebt und liebt unter der Herrschaft des Sommers.

Es jubeln und freuen sich in Honigsüße, die Cupidos Lohn erhalten wollen; auf Befehl der Venus wollen wir in Jubel und Freude es dem Paris gleichtun.

6. 

Uf dem anger
Tanz

Auf der Dorfwiese
Tanz

7. 

Floret silva nobilis floribus et foliis.
Ubi est antiquus meus amicus?

Hinc equitavit, eia, quis me amabit?

Floret silva undique, nah mine gesellen ist mir we. Gruonet der walt allenthalben,

wa ist min geselle alse lange? Der ist geritten hinnen, owi, wer sol mich minnen?

Es grünt der edle Wald mit Blüten und Blättern. Wo ist mein alter Geliebter? Er ist fortgeritten. Eia, wer wird mich lieben?

Der Wald grünt überall, ich habe Sehnsucht nach meinem Geliebten. Der Wald grünt überall, wo bleibt mein Geliebter so lange?

Er ist fortgeritten. O weh, wer liebt mich jetzt?

8. 

Chramer, gip die varwe mir,
die min wengel roete, damit ich die jungen man an ir dank der minnenliebe noete.

Seht mich an, jungen man!
Lat mich iu gevallen!

Minnet, tugentliche man,
minnecliche frouwen!

Minne tuot iu hoch gemuot
unde lat iuch in hohen eren schouwen.

Wol dir werlt, das du bist also freudenriche! Ich will dir sin undertan durch din liebe immer sicherliche.

Krämer, gib mir die Farbe, die meine Wange rot macht, damit ich die jungen Männer ohne ihren Willen zur Liebe zwingen kann.

Seht mich an, ihr jungen Männer! Lasst mich euch gefallen!

Liebet, ihr rechtschaffenen Männer, liebenswerte Frauen! Die Liebe macht euch glücklich und lässt euch in hohen Ehren erstrahlen.

Wie schön, dass du Welt so voller Freuden bist! Ich will dir immer untertan sein wegen deiner Güte.

9. 

Reie

Swaz hie gat umbe, daz sint alles megede,
die wellent an man alle disen sumer gan.

Chume, chum, geselle min, ih enbite harte din! Suzer rosenvarwer munt, chum un mache mich gesunt.

Reigen

Was hier im Reigen tanzt, das sind alles Mädchen, die diesen Sommer ohne Mann bleiben wollen.

Komm, mein Geliebter, ich warte so sehr auf dich! Süßer, rosenfarbener Mund, komm und mache mich gesund!

10. 

Were diu werlt alle min von deme mere unze an den Rin, des wolt ih mih darben, daz diu chünegin von Engellant lege an miner armen.

Gehörte die ganze Welt vom Meer bis zum Rhein mir, könnte ich darauf verzichten, wenn die Königin von Engelland in meinen Armen läge.

11. 

II In taberna 

Estuans interius ira vehementi

in amaritudine loquor mee menti.

Factus de materia, cinis elementi,
similis sum folio de quo ludunt venti.

Cum sit enim proprium viro sapienti
supra petram ponere sedem fondamenti,
stultus ego comparor fluvio labenti,
sub eodem tramite nunquam permanenti.

Feror ego veluti sine nauta navis,
ut per vias aeris vaga fertur avis,
non me tenent vincula, non me tenet clavis,
quero mihi similes et adiungor pravis.

Mihi cordis gravitas res videtur gravis,
iocus est amabilis dulciorque favis,
quicquid Venus imperat, labor est suavis, que nunquam in cordibus habitat ignavis.

Via lata gradior more iuventutis,
implicor et vitiis immemor virtutis,
voluptatis avidus magis quam salutis,
mortuus in anima curam gero cutis.

II In der Schenke 

Brennend im Innern vor heftigem Grimm,
will ich mit Bitterkeit zu meinem Herzen sprechen.

Aus dem Stoff des leichten Elements bin ich gemacht, dem Blatt bin ich gleich, mit dem die Winde spielen.

Während es weisen Mannes Art ist,
auf den Fels sein Fundament zu gründen:
bin ich Tor dem Flusse, der dahintreibt, gleich,
der unterm selben Himmel niemals bleibt.

Ich gleite dahin wie ein Boot ohne Steuermann,
wie auf luftigen Wegen der Vogel sich treiben lässt.

Mich hält keine Fessel, mich hält kein Schlüssel,
ich suche meinesgleichen, und finde mich unter Lumpen.

Mir scheint des Herzens würdiger Ernst gar eine schwere Sache, das Schmerzen ist mir angenehm und süßer noch als Honig. Was Venus befiehlt, das ist ein angenehmer Dienst,Venus, die in gemeinen Herzen niemals wohnt.

Ich schreite auf dem breiten Weg,

nach der Art der Jugend, verstricke mich in Laster, uneingedenk der Tugend, gierig nach Lust mehr als nach Heil, bin ich seelisch tot, rette nur meine Haut.

12.

(Cignus ustus cantat :)

Olim lacus colueram, olim pulcher extiteram
dum cignus ego fueram.

Miser, miser modo niger et ustus fortiter!

Girat, regirat garcifer; me rogus urit fortiter:
propinat me nunc dapifer,

Nunc in scutella iaceo, et volitare nequeo,
dentes frendentes video:

(Der gebratene Schwan singt:)

Einst bewohnte ich die Seen und war ich schön,
als ich ein Schwan war.

Armer, Armer, jetzt schwarz und stark verbrannt!
Es dreht und wendet mich der Koch. Das Feuer brennt sehr. Der Kellner stellt mich auf den Tisch.
Jetzt liege ich in der Schüssel und kann nicht mehr fliegen. Ich sehe gefletschte Zähne.

13. 

Ego sum abbas Cucaniensis et consilium meum est cum bibulis, et in secta Decii voluntas

mea est, et qui mane me quesierit in taberna,
post vesperam nudus egredietur,
et sic denudatus veste clamabit :
Wafna, wafna! Quid fecisti sors turpissima?
Nostre vite gaudia abstulisti omnia!

Ich bin der Abt vom Schlaraffenland, meinen Konvent halte ich mit den Säufern und gehöre dem Orden des Decius an. Wer mich morgens in der Kneipe aufsucht, wird nach der Vesper nackt
hinausgehen, und - so ausgezogen – schreien:

Wehe! Was hast du scheußliches Schicksal getan?

Alle Lebensfreude hast du genommen!

14. 

In taberna quando sumus, non curamus quid sit humus, sed ad ludum properamus, cui sempre insudamus. Quid agatur in taberna, ubi nummus est pincerna, hoc est opus ut queratur si quid loquar, audiatur.

Quidam ludunt, quidam bibunt quidam indiscrete vivunt. Sed in ludo qui morantur, ex his quidam denundantur, quidam ibi vestiuntur, quidam saccis induuntur. Ibi nullus timet mortem, sed pro Bacho mittunt sortem:

Primo pro nummata vini; ex hac bibunt libertini,

semel bibunt pro captivis, post hec bibunt ter pro vivis, quater pro Christianis cunctis, quinquies pro fidelibus defunctis, sexies pro sororibus vanis, septies pro militibus silvanis. Octies pro fratribus perversis, nonies pro monachis dispersis, decies pro navigantibus, undecies pro discortantibus, duodecies pro penitentibus, tredecies pro iter agentibus. Tam pro papa quam pro rege bibunt omnes sine lege.

Bibit hera, bibit herus, bibit miles, bibit clerus,
bibit ille, bibit illa, bibit servus cum ancilla,
bibit velox, bibit piger, bibit albus, bibit niger,
bibit constans, bibit vagus, bibit rudis, bibit magus.

Bibit pauper et egrotus, bibit exul et ignotus,
bibit puer, bibit canus, bibit presul et decanus,
bibit soror, bibit frater, bibit anus, bibit mater,
bibit ista, bibit ille, bibunt centum, bibunt mille.

Parum sexcente nummate durant, cum immoderate
bibunt omnes sine meta. Quamvis bibant mente leta,
sic nos rodunt omnes gentes et sic erimus egentes.

Qui nos rodunt confundantur et cum iustis non scribantur.

In der Kneipe kümmert es uns nicht, dass wir sterben müssen, sondern wir geben uns sofort dem Spiel hin, über dem wir immer schwitzen. Was sich in der Kneipe tut, wo das Geld regiert, das lohnt sich zu vernehmen: Hört, was ich sage!

Manche spielen, manche trinken, manche leben liederlich. Von den Spielern aber wird mancher ausgezogen, mancher kommt zu einem Rock, manchen werden Säcke angezogen. Keiner fürchtet dort den Tod, sondern man spielt um Wein.

1. Wer die Zeche zahlt. Davon trinken die Freien, 2. auf die Gefangenen, dann 3. auf die Lebenden, 4. auf die ganze Christenheit, 5. auf die im Herrn Verstorbenen, 6. auf die losen Schwestern, 7. auf die Strauchdiebe, 8. auf die verirrten Brüder, 9. auf die versprengten Mönche, 10. auf die Seeleute, 11. auf die Streithähne, 12. auf die Büßer 13. auf die Reisenden. Auf den Papst wie auf den König trinken alle maßlos.

Es trinken: die Herrin, der Herr, der Soldat, der Pfarrer, Mann, Frau, Knecht, Magd, der Schnelle, der Faule, der Blonde, der Schwarze, der Sesshafte, der Herumziehende, der Dumme, der Weise.

Es trinken: der Arme und der Kranke, der Verbannte und der Unbekannte, das Kind und der Glatzköpfige,

Bischof und Dekan, die Schwester, der Bruder, der Ahne, die Mutter, diese und jener, Hundert, Tausend.

Sechshundert Taler reichen nicht, wenn alle maßlos alle ohne Rand und Band saufen. Wieviel sie auch maßlos in bester Laune trinken, es schmähen uns alle Völker und wir werden arm davon. Es sollen die zugrunde gehen, die uns schmähen und nicht im Buch der Gerechten aufgeschrieben sein!

15. 

III Cour d´amour

Amor volat undique, captus est libidine.

Iuvenes, iuvencule coniunguntur merito. Siqua sine socio, caret omni gaudio, tenet noctis infima sub intimo cordis in custodia: fit res amarissima.

III Hof der Liebe 

Amor fliegt allüberall, ist gefangen vor Lust.
Junge Männer und Frauen verbinden sich zurecht.
Wenn eine keinen Geliebten hat, hat sie kein Freude
und muss tiefste Nacht halten tief in ihrem Herzen: Das ist sehr bitter!

16. 

Dies, nox et omnia michi sunt contraria, virginum colloquia me fay planszer, oy suvenz suspirer, plu me fay temer.

O sodales, ludite, vos qui scitis dicite, michi mesto parcite, grand ey dolur, attamen consulite per voster honur.

Tua pulchra facies, me fey planser milies, pectus habens glacies. A remender, statim vivus fierem per un baser.

Tag, Nacht und alles ist mir zuwider.

Das Plappern der Mädchen bringt mich zum Weinen
und zu großem Seufzen und Fürchten .

Freunde, ihr spielt, und ihr Gebildeten sprecht: verschont mich damit! Groß ist der Schmerz.
Tröstet mich nur, bei eurer Ehre!

Dein schönes Antlitz bringt mich tausend Mal zum Weinen. Dein Herz ist von Eis. - Mach's wieder gut! Ich würde sofort lebendig durch einen Kuss.

17. 

Stetit puella rufa tunica; si quis eam tetigit, tunica crepuit. Eia.

Stetit puella, tamquam rosula; facie splenduit, os eius floruit. Eia.

Ein Mädchen mit roten Kleid stand da; wenn man sie berührte, raschelte das Kleid. Eia!

Ein Mädchen wie ein Röschen stand da; ihr Gesicht strahlte, und ihr Mund blühte. Eia!

18. 

Circa mea pectora multa sunt suspiria de tua pulchritudine, que me ledunt misere. Mandaliet, min geselle chumet niet.

Tui lucent oculi sicut solis radii, sicut splendor fulguris lucem donat tenebris. Mandaliet...

Vellet deus, vellent dii, quod mente proposui ut eius virginea reserassem vincula. Mandaliet...

In meinem Herzen sind viele Seufzer wegen deiner Schönheit, die mich elend macht. Mandaliet, mein Geliebter kommt nicht.

Deine Augen leuchten wie Sonnenstrahlen, wie der Glanz des Blitzes die Nacht erhellt. Mandaliet...

Gebe Gott, geben die Götter, was ich mir vorgenommen habe, dass ich die Fesseln ihrer Jungfräulichkeit löse. Mandaliet...

19. 

Si puer cum puellula moraretur in cellula, felix coniunctio. Amore suscrescente, pariter e medio propulso procul tedio, fit ludus ineffabilis membris, lacertis, labiis.

Wenn ein Junge und ein Mädchen in der Kammer sind: Seliges Beisammensein! Mit wachsender Liebe vergeht die Scham und es beginnt ein unaus- sprechliches Spiel mit Gliedern, Armen, Lippen.

20.

Veni, veni, venias, ne me mori facias,

hyrca, hyrce, nazaza, trillirivos...

Pulchra tibi facies, oculorum acies,

capillorum series, o quam clara species!

Rosa rubicundior, lilio candidior,

omnibus formosior semper in te glorior!

Komm, komm, komme doch und bringe mich nicht um! Hyrca, hyrce, nazaza, trillirivos!

Schön ist dein Gesicht, der Glanz deiner Augen,

deine Locken, oh, welche herrliche Gestalt!

Röter als die Rose, weißer als die Lilie, schöner als alle andern, immer werde ich dich rühmen!

21.

In trutina mentis dubia fluctuant contraria lascivus amor et pudicitia.

Sed eligo quod video, collum iugo prebeo;

ad iugum tamen suave transeo.

Auf der schwankenden Waage meines Sinnes streiten Liebeslust und Scham. Doch ich wähle, was ich sehe, ich halte meinen Nacken unters Joch, denn ich gehe unter ein süßes Joch.

22.

Tempus est iocundum, o virgines, modo congaudete vos iuvenes. Oh, totus floreo, iam amore virginali totus ardeo, novus, novus amor est, quo pereo.

Mea me confortat promissio,

mea me deportat negatio. Oh…

Tempore brumali vir patiens,

animo vernali lasciviens. Oh..

Mea mecum ludit virginitas,

mea me detrudit simplicitas.

Veni, domicella, cum gaudio,

veni, veni, pulchra, iam pereo.

Die Zeit ist fröhlich, ihr Mädchen! Freut euch jetzt, ihr jungen Männer! Oh! Ich blühe ganz, brenne schon von einer unverbrauchten Liebe. Es ist eine neue Liebe, in der ich vergehe.

Mein Versprechen treibt mich an,

meine Verweigerung erdrückt mich. Oh...

Im Winter ist der Mann geduldig,

im Frühling voller Lust. Oh....

Ich bin ein Spielball meiner Jungfräulichkeit, meine Einfalt steht mir im Weg. Oh...

Komm, Geliebte, mit Freude! Komm, komm, du Schöne! Ich vergehe schon.

23.

Dulcissime, totam tibi subdo me.

Du Süßester, ich gebe mich dir ganz hin.

24. 

Blanziflor et Helena

Ave formosissima, gemma pretiosa,
ave decus virginum, virgo gloriosa,
ave mundi luminar, ave mundi rosa,

Blanziflor et Helena, Venus generosa!

Blanziflor und Helena

Sei gegrüßt, du schönste und herrlichste Perle,
du Zierde der Jungfrauen, du hochgelobte Jungfrau.

Sei gegrüßt, du Licht der Welt, du Rose der Welt,
Blanziflor und Helena! Edle Venus !

25. 

O Fortuna velut luna…

Fortuna Imperatrix Mundi

O Fortuna.... (siehe Nr. 1)

Fortuna, Herrscherin der Welt

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